Autor: Prof. Dr. Marc-Christian Ollrog
Salzgitter, Anfang Oktober: Noch nie habe ich die KollegInnen bereits vor dem Semesterstart so angespannt erlebt: Wie wird es wohl werden? Hält die Technik? Machen die Studis mit, stellen Sie Fragen? Bange Fragen, die wir uns alle stellen – bange Fragen insbesondere in den großen Lerngruppen im Medienbereich. Individuelle Ansprache und Eingehen zählt unter normalen Umständen zu den Stärken des Kollegiums – aber im Remote-Szenario? Wie können wir insbesondere die Erstsemester an Bord holen, wenn wir sie kaum an der Hochschule in Empfang nehmen können?
Nach zwei Wochen ein erstes Durchschnaufen, keine Entwarnung. Die digitalen Vorlesungsräume sind voll, der Chat wird in der Regel höchst aktiv bedient. Die Technik funktioniert mit Abstrichen – zugegeben: gestern ist ein Lernraum mit rund 100 Studierenden abgeraucht – zum Glück erst kurz vor Schluss und die Aufzeichnung lief noch. Aber auch Veranstaltungen mit 165 Teilnehmern laufen problemlos durch – natürlich in den Basisfunktionen ohne allzu viele Sperenzchen. Daran traue ich mich erst später.
Befund: Die Stimmung in den Studigruppen ist besser als gedacht, der Chat brummt in der Regel fröhlich. Die Studierenden sind engagiert, wirken bisweilen wacher als sonst – gerade in den wenigen Präsenzveranstaltungen. Viele loben den Vorteil der Flexibilität („spart Zeit und Geld“), schätzen den Vorteil, den Ihnen das nicht-lineare Nacharbeiten der bereitgestellten Mitschnitte bieten. Die Lehrveranstaltungen selbst funktionieren ähnlich wie gewohnt – weniger Interaktion freilich (die verlagert sich v.a. in den Chat). Man spricht vor allem selbst, was Dozenten in der Regel weniger stört (déformation professionelle), erklärt noch mehr, ruhiger. Kürzer sind die Vorlesungen dadurch keinesfalls, eher im Gegenteil.
Auch Neues entsteht: Viele Dozenten machen sich neue Gedanken über die Stoffvermittlung und das Erreichen der Lernziele, die sie sich andernfalls wohl nicht gemacht hätten. Wie kann man den Stoff durch Einsatz der geeigneten Materialien auf Moodle in Lektionen so strukturieren, dass er die Lehrinhalte erschließt und die intendierten Lernziele ermöglicht? Das ist herausfordernd und spannend zugleich. Die Hoffnung: Davon einiges beizubehalten, auch wenn die Pandemie überwunden ist. Die erzwungene Innovation also nutzen und gezielt verstetigen.
Skurril: Oder „Hogwarts-Feeling“, wie eine Studierende so treffend formuliert. Wer hätte gedacht, dass es so schwer ist, sich in digitalen Räumen zu treffen? Derselbe Link kann Dozenten und Studierende im digitalen Raum in unterschiedliche Hörsäle führen, etwa wenn die Studierenden diesen über eine andere Plattform anwählen. Zum Glück sind die Studis auch über StudIP oder andere Kanäle erreichbar. Da geht noch was. Schnittstellenfreie Kommunikation geht anders.
Und dennoch: Das Semester ist gestartet. Ein wenig ruckelig zwar, aber insgesamt besser als befürchtet. Das erste Feedback der Studis ist konstruktiv: „Fast wie eine normale Vorlesung“, sagen viele. Aber doch halt nur fast. Der kleine Scherz, der Schwatz mit den Studis am Rande fehlen, das gemeinsame Abhängen am Campus in den Poolräumen – alles, was irgendwie Gemeinschaft stiftet, fällt weniger aus. Das Kennenlernen der Studierendengruppen untereinander dauert dann sicher länger – ebenso das Kennenlernen von Studis und Lehrenden. Social Distancing auch in der Lehr-Lernbeziehung. Man bleibt auf Distanz – aber wenigstens in Reichweite. Und verabredet sind wir sowieso: Bis morgen dann also, wenn wir alle wieder den Big Blue Button drücken oder uns in den digitalen Hörsaal „zoomen“.