Ein alter Bauernhof. Wind bläst durch die Fenster, in denen schon lange keine Gläser mehr sind. Überall nimmt sich die Natur ihren Platz wieder. Bäume ragen in das Gebäude, Moos wächst am Boden. Das ist die Definition von Lost Places. Sich auf die Suche nach alten Gebäuden zu begeben, nennt man auch Urbexing. Es ist zu einem gefährlichen Trend geworden. Immer wieder liest man davon, dass Menschen in heruntergekommenen Häusern eingestürzt sind und dabei schwer verletzt wurden oder sogar starben. Trotzdem gibt es eine große Fangemeinde. Auf Facebook sind unzählige Gruppen zu finden, in denen Fotos von Lost Places ausgetauscht werden. Dabei sind allerdings strenge Regeln zu beachten. Es ist unter Urbexern verpönt den genauen Standort des gefundenen Ortes zu verraten. Nicht jeder soll zu den Lost Places gelangen. Hinter der Entdeckung dieser Orte steckt oft eine tagelange Recherche. Auch das gehört zu dem außergewöhnlichen Hobby dazu. Wieso fasziniert es immer mehr Menschen nach Lost Places zu suchen, obwohl es doch gefährlich und zeitaufwendig ist?
Lost Places als historienreiches Abenteuer
„Es war halt super faszinierend, in was für eine tiefe Welt man da auf einmal eintaucht, wie viele Leute sich damit eigentlich beschäftigen“, sagt Mirko Krumm im Interview. Der 30-jährige ist Fachinformatiker und arbeitet ehrenamtlich als Rettungssanitäter. Außerdem ist er der Vorsitzende des Warnamt II e.V., die eine ehemalige Bunkeranlage, ein altes Warnamt in Bassum, betreiben. Urbexing ist Mirkos ungewöhnliches Hobby. Seine Leidenschaft begann in einem Urlaub in Griechenland, wo er durch Zufall eine verlassene Anlage entdeckt hat. Wieder Zuhause in Deutschland hat er im Internet nach verlassenen Orten geschaut und festgestellt, dass sehr viele Menschen auf der Suche nach Lost Places sind und dies als Hobby betreiben. Für ihn ist das Suchen nach Lost Places immer ein kleines Abenteuer. Außerdem beschäftigt er sich gerne mit der Geschichte, die sich hinter den Orten verbirgt.
Mirko hat mich im Interview mit seiner Leidenschaft zu seinem Hobby überzeugt, so dass ich selbst auf die Suche gehen wollte. Durch eine Insiderin habe ich Zugang zu einer Karte erhalten, die Lost Places auf der ganzen Welt zeigt. Damit habe ich mich auf den Weg gemacht. Natürlich war ich dabei nicht allein und habe mich dementsprechend vorbereitet. Allein und ohne Vorbereitung sollte man nie einen Lost Place aufsuchen. Ich habe eine alte Fabrikhalle ausgesucht, die bereits seit vielen Jahren leer steht und auf diese Weise einen Einblick in das gefährliche Hobby bekommen.
Lost Places als Fotomotiv
Urbexer betreiben dieses Hobby allerdings nicht nur, weil sie das Abenteuer suchen. Für viele ist es auch wichtig, dabei ein gutes Foto aufzunehmen. Auf unzähligen Instagram- und Facebook-Seiten teilen Urbex Fotografen und Fotografinnen ihre beeindruckenden Aufnahmen der einsamen Orte. Die Fotos vermitteln dabei fast immer eine gewisse mysteriöse und gruselige Stimmung.
Corinna ist Hobbyfotografin und fotografiert neben Landschaften auch gerne verlassene Orte. Gemeinsam mit ihrem Mann macht sie sich besonders in Urlauben auf die Suche. Sie setzt sich im Gegensatz zu Mirko kaum mit der Geschichte der Orte auseinander, sondern lässt lieber die Bilder für sich sprechen.
Auch mit Corinna und ihrem Mann bin ich zu einem Lost Place gefahren. Wir waren eine Stunde unterwegs, bis wir an unserem Ziel angekommen sind: eine alte Ziegelei. Natürlich wird der genaue Standort dieses Ortes nicht verraten, gemäß dem Codex der Urbexer. Auf dem Gelände befinden sich viele alte Gebäude, die damals wichtig für das Brennen der Ziegel waren. Außerdem entdecken wir ein altes Wohnhaus, in dem wohl schon sehr lange niemand mehr gelebt hat. Der Ort ist komplett zugewachsen. Einige Trampelpfade weisen allerdings darauf hin, dass dieser Lost Place beliebt bei den Urbexern ist. Für Corinna steckt dieser heruntergekommene Ort voller Fotomotive.
Die Schattenseiten des Trends
Allerdings entstehen dadurch, dass immer mehr Menschen auf diesen Trend aufmerksam werden auch Probleme. Nicht alle verhalten sich vorbildlich. Die Orte werden durch rohe Gewalt und Graffitis zerstört. Die Inhalte von alten Gebäuden werden oft komplett ausgebaut, besonders wertvolle Metalle sind dabei wichtig. Sie werden dann später verkauft. Dies kann ein Lost Place auf eine Weise verändern und zerstören, so dass niemand mehr erkennen kann, was dieser Ort früher einmal gewesen ist. Mirko findet diese Entwicklung sehr schade. Er glaubt, dass noch viel an Lost Places über die Vergangenheit gelernt werden könne. Deshalb hat er zusammen mit dem Warnamt II e.V. eine alte Bunkeranlage in Bassum in der Nähe von Bremen zu einem Museum umfunktioniert, in dem heute Führungen angeboten werden. Früher war das Warnamt dafür zuständig, die Bevölkerung im Kriegsfall vor Atombomben zu warnen. Der Betrieb wurde eingestellt und der Bunker hat sich zu einem echten Lost Place entwickelt. Der Verein hat dem Warnamt einen neuen Nutzen gegeben. Über Jahre hinweg haben sie dafür aus anderen Bunkeranlagen die noch vorhandene Ausstattung gerettet, um die bereits Gestohlene aus dem Bunker zu ersetzen. Auf vier Stockwerken lässt sich heute erahnen, wie das Warnamt früher ausgesehen hat. Ich habe eine Führung durch diesen Bunker mitgemacht und viele Eindrücke sammeln können.
Für die richtigen Urbexer ist das Suchen von Lost Places auf keinen Fall nur ein Hobby, bei dem es um den reinen Adrenalinkick geht. Es steckt viel mehr hinter der kuriosen Freizeitbeschäftigung. Die Urbexer gehen ein Risiko ein, um verborgene Orte zu finden, die eine Geschichte erzählen, sei es aus geschichtlichem Interesse oder um das perfekte Foto zu schießen. Das gefährliche Hobby verlangt ein wenig Mut und auf jeden Fall eine richtige Ausrüstung. Mit der richtigen Vorbereitung allerdings kann man in eine geheimnisvolle, historienreiche Welt abtauchen, die von vielen bereits vergessen wurde.
Info!
Alle Fotos in der Mediengalerie wurden von Corinna Westie zur Verfügung gestellt.